Mai 20, 2024

Ängstliche Gedanken, empfindlicher Bauch

Der Zusammenhang zwischen Angst und Darmgesundheit

Ängstliche Gedanken, empfindlicher Bauch

"Ich habe einen Knoten im Magen"

Das ist nicht nur eine Redewendung. Wir alle kennen dieses Gefühl, dieses unangenehme Gefühl im Bauch, das mit Angst oder Nervosität einhergeht. Und wir hoffen, dass es nur ein Gefühl bleibt und der Drang, schnell auf die Toilette zu gehen, nicht plötzlich auftritt. Eine beschleunigte Darmpassage und eine erhöhte Stuhlfrequenz sind in angespannten Situationen relativ häufig (z. B. Bauchschmerzen und Durchfall vor einer Prüfung oder einem anderen wichtigen Termin).

Darm & Gehirn

Unser Darm (oder unser Darmmikrobiom) ist über die Mikrobiota-Darm-Hirn-Achse eng mit dem Gehirn verbunden. Es ist daher kein Wunder, dass psychischer Stress häufig mit Verdauungsstörungen einhergeht. Darm und Gehirn kommunizieren sowohl über das Darmmikrobiom als auch über das enterische, autonome und zentrale Nervensystem und beeinflussen sich gegenseitig. Dabei spielen unter anderem Neurotransmitter (z.B. GABA), kurzkettige Fettsäuren, Tryptophan-Stoffwechselprodukte des Darmmikrobioms und Hormone eine entscheidende Rolle.

Angst führt durch die Ausschüttung von Stresshormonen zu einer erhöhten Schmerzempfindlichkeit des Darms. Die Darmtätigkeit nimmt zu, Entzündungsprozesse im Darm werden mehr, und die Zusammensetzung des Darmmikrobioms verändert sich. Die Dysbiose wiederum wirkt sich negativ auf die Funktion der Darm-Hirn-Achse aus und beeinflusst unsere Stimmung und Emotionen.
Es entsteht ein Teufelskreis: Angst erzeugt Darmprobleme und Darmprobleme erzeugen Angst.
Umgekehrt unterstützt ein ausgewogenes Darmmikrobiom unsere psychische Gesundheit (1, 2, 3).

Es ist also sinnvoll, sich um beides gleichermaßen zu kümmern!

Furcht und Angst

Furcht und Angst gehören zu unserem Leben und sind beides emotionale Reaktionen, die sich, ganz einfach ausgedrückt, in ihren Auslösern und ihrer Intensität unterscheiden:
FURCHT ist eine natürliche Reaktion auf eine reale oder wahrgenommene unmittelbare Bedrohung, in der keine Zeit zum Nachdenken bleibt. Es handelt sich um Situationen, in denen erhöhte Wachsamkeit erforderlich ist, um Schutzmaßnahmen zu ergreifen oder unsere Kräfte zu mobilisieren. Furcht ist in der Regel vorübergehend und an bestimmte Auslöser gebunden. Sie ist ein Überlebensmechanismus (Kampf-oder-Flucht-Reaktion oder Einfrieren), den wir nutzen, um unser Leben jetzt zu retten. Erst dann verarbeiten wir das Geschehene und lernen, welche Situationen wir in Zukunft vermeiden sollten.

ANGST hingegen ist ein allgemeines Gefühl der Unruhe, der Sorge oder der Besorgnis über die Zukunft.
Sie tritt oft in einem unangemessenen Moment auf, steht in keinem Verhältnis zur tatsächlichen Bedrohung und kann über einen längeren Zeitraum anhalten, auch wenn keine unmittelbare Gefahr besteht. Zu den Symptomen können Anspannung, Unruhe, Konzentrationsschwierigkeiten, Reizbarkeit, Muskelschmerzen und Schlafstörungen gehören.

Ein gesundes Maß an Furcht und Angst ist subjektiv und variiert stark von Person zu Person. Im Allgemeinen dienen sie als Schutzmechanismen, die dem Einzelnen helfen, auf Bedrohungen zu reagieren und schwierige Situationen zu bewältigen. Wenn die Angst übermäßig und anhaltend wird oder das tägliche Funktionieren beeinträchtigt, kann sie auf eine Angststörung oder ein anderes psychisches Problem hinweisen. Pathologische Angst belastet nicht nur die Gesundheit, sondern lähmt die Handlungsfähigkeit und beeinträchtigt in der Folge auch die soziale und wirtschaftliche Struktur der Betroffenen.
Mit einer Inzidenz von 3-25% gehören Angststörungen zu den häufigsten psychiatrischen Erkrankungen weltweit. Zudem leiden über 1/3 aller Menschen im Laufe ihres Lebens unter Angstsymptomen (4, 5, 6, 7).

Es gibt verschiedene Angststörungen (z. B. generalisierte Angststörung, Panikattacken, soziale Angststörung, Phobien, posttraumatische Belastungsstörung) mit jeweils unterschiedlichen Symptomen (z. B. Übelkeit, Erbrechen/Durchfall, Kurzatmigkeit, Schwindel, Schwitzen, Herzrasen, Engegefühl in der Brust usw.). Was sie alle gemeinsam haben, ist das Gefühl der Hilflosigkeit, das Gefühl, die Kontrolle über die Angst zu verlieren. Als Risikofaktoren für die Entwicklung von Angststörungen werden sowohl genetische als auch umweltbedingte Faktoren (z. B. Stress, traumatische Erfahrungen) genannt. Aber auch körperliche Faktoren wie Probleme mit der Schilddrüse oder Herzerkrankungen sowie Drogenmissbrauch können an der Entstehung von Angststörungen beteiligt sein.
Angststörungen werden mit Psychotherapie, Verhaltenstherapie und/oder Medikamenten behandelt (8).

Und das Darmmikrobiom? Kann es auch dazu beitragen?

Es hat sich gezeigt, dass Menschen mit Angststörungen im Vergleich zu Menschen ohne Angststörungen ein verändertes Darmmikrobiom haben (1, 2, 8).‍

Die Frage ist, was war zuerst da?
Hat die Angst das Darmmikrobiom aus dem Gleichgewicht gebracht oder hat ein unausgewogenes Darmmikrobiom zu erhöhter Angst geführt?

Die meisten der durchgeführten Studien stützen sich auf Tiermodelle. So wurde in einer Studie an Mäusen eindeutig ein Zusammenhang zwischen sozialer Angst und dem Darmmikrobiom festgestellt.
Die untersuchten Mäuse erhielten entweder Darmbakterien und andere Mikroorganismen von Menschen mit sozialen Angststörungen oder von gesunden Menschen. Mäuse, die Transplantate von Menschen mit sozialen Angststörungen erhielten, zeigten an den folgenden Tagen weniger soziale Interaktion, was typisch für soziale Angst ist. Außerdem wiesen sie niedrigere Oxytocinwerte auf. Diese Ergebnisse und die anderer Studien deuten darauf hin, dass die Dysbiose in einem kausalen Zusammenhang mit der Entwicklung von Angstzuständen steht (2, 3, 9).

Die Datenlage beim Menschen ist noch begrenzt, aber es gibt eindeutige Hinweise darauf, dass das Darmmikrobiom auch auf das zentrale Nervensystem des Menschen einwirkt, unser Verhalten beeinflusst und daher auch bei psychischen Erkrankungen wie Angststörungen oder Depressionen eine wichtige Rolle spielt.
Da die oben genannten Behandlungsansätze für Angststörungen (Psychotherapie und Medikamente) nicht immer erfolgreich sind, besteht ein großes Interesse an anderen Möglichkeiten. Das Darmmikrobiom und sein Einfluss auf die psychische Gesundheit und damit auch auf die Angst wird immer mehr erforscht. Einzelne probiotische Stämme und Synbiotika haben bereits gezeigt, dass sie die Symptome verbessern können. Zunehmend wird auch von "Psychobiotika" gesprochen. Die Einbeziehung des Darmmikrobioms in die Therapie scheint eine vielversprechende Strategie zu sein. Eine Übersichtsarbeit, die 21 Studien berücksichtigte, zeigte, dass die Behandlung von Angstsymptomen durch die Regulierung des Darmmikrobioms in mehr als 50 % der einbezogenen Studien positiv war (1, 2, 3, 7, 8, 10).

Praktischer Tipp: Sport (oder einfach nur ein flotter Spaziergang) in der Natur

Das bringt zum einen Bewegung in den Alltag, zum anderen wirken sich körperliche Aktivität und frische Luft positiv auf die Schlafqualität aus. Nimm dir bewusst Zeit für dich selbst, konzentriere dich auf die Natur mit ihren Geräuschen, Gerüchen, Wetterbedingungen usw., achte auf deine eigene Atmung und versuche, während der Bewegung innerlich ruhiger zu werden und zu entspannen.

Bewegung, erholsamer Schlaf, Entspannungsübungen und mehr Achtsamkeit wirken sich von beiden Seiten (Darm - Gehirn & Gehirn - Darm) positiv auf die Darm-Hirn-Achse aus (2).

Angst manifestiert sich nicht von einem Tag auf den anderen ...

... sie entwickelt sich. Und obwohl manifeste Angststörungen eindeutig ärztliche Behandlung erfordern, gibt es ein paar Dinge, die wir prophylaktisch tun können. Veränderungen und Umwälzungen sind Teil unseres Lebens. Sie erschüttern unsere Stabilität, können uns verunsichern und Ängste auslösen. Es gibt viele Dinge, die wir nicht kontrollieren und nicht beeinflussen können. Aber es liegt an uns, im Alltag zu trainieren, besser mit Ungewissheit umzugehen, damit wir besser vorbereitet sind, wenn wir mit Angst umgehen müssen ... (6).

Wir können es zum Beispiel wagen,
- regelmäßig unsere Komfortzone zu verlassen und etwas völlig Neues auszuprobieren, ganz spontan, ohne zu wissen, was auf uns zukommt ...
- nur einmal am Tag für eine begrenzte Zeit Nachrichten zu konsumieren.
- soziale Kontakte wieder mehr im realen Leben stattfinden zu lassen, statt hauptsächlich online.
- Atemtechniken zu erlernen, die uns helfen, in ängstlichen Momenten zur Ruhe zu kommen und klarer zu denken.
- auf unser Bauchgefühl zu achten und proaktiv etwas zu tun, damit sich unser Bauch "gut fühlt".
Ein ausgeglichenes Darmmikrobiom wäre der erste Schritt ;-)

Möchtest du mehr über dein Darmmikrobiom erfahren und wie du es unterstützen kannst? Dann kontaktiere uns!

Referenzen

(1) Karolina Krupa-Kotara et al. (2023): The Role of Microbiota Pattern in Anxiety and Stress Disorders - A Review of the State of Knowledge, in: Psych 5(3):602-618.
(2) Stefano Bibbò et al. (2022): Gut microbiota in anxiety and depression: Pathogenesis and therapeutics, in: Frontiers in Gastroenterology 1:1019578.
(3) Ruo-Gu Xiong et al. (2023): The Role of Gut Microbiota in Anxiety, Depression, and Other Mental Disorders as well as the Protective Effects of Dietary Components, in: Nutrients 15:3258.
(4) Nationales Institut of Mental Health 
https://www.nimh.nih.gov/health/topics/anxiety-disorders
(5) Lucie Daniel-Watanabe, Paul C. Fletcher (2022): Are Fear and Anxiety Truly Distinct?, in: Biological Psychatry Global Open Science 2(4):341-349.
(6) Judson Brewer (2021): Unwinding Anxiety: New Science Shows How to Break the Cylces of Worry and Fear to Heal your Mind, Avery.
(7) Beibei Yang et al. (2019): Effects of regulating intestinal microbiota on anxiety symptoms: A systematic review, in: General Psychiatry 32:e100056.
(8) Zaiquan Dong et al. (2021): Gut Microbiome: A Potential Indicator for Differential Diagnosis of Major Depressive Disorder and General Anxiety Disorder, in: Frontiers in Psychiatry 12:651536.
(9) Nathaniel L. Ritz et al. (2023): Social anxiety disorder-associated gut microbiota increases social fear, in: PNAS 121(1)e2308706120.
(10) Katerina V.-A. Johnson (2019): Gut microbiome composition and diversity are related to human personality traits, in: Human Microbiome Journal 15 https://doi.org/10.1016/j.humic.2019.100069.